
Darum geht’s: Darum geht’s: Øystein „Euronymous“ Aarseth (Rory Culkin) gründet in Oslo die Band Mayhem und träumt davon, den extremsten Black Metal der Welt zu spielen Als der verstörte Sänger Dead (Jack Kilmer) dazukommt, kippt die provokante Selbstinszenierung der Gruppe zunehmend ins Reale. Nach Deads Suizid wird Euronymous zur Leitfigur einer Szene, die immer radikaler wird, bis der ehrgeizige Newcomer Varg Vikernes (Emory Cohen) auftaucht und ihn mit immer gewagteren Aktionen übertrumpft. Der Wettlauf um Authentizität führt in eine tödliche Spirale.
Achtung: Mittelschwere Spoiler!
J: Für mich war an der Ausrichtung des Films erstmal auffällig, dass er auf Realismus setzt, man aber die Leute kaum je bei typischen Musikertätigkeiten sieht. Im ganzen Film proben die kein einziges Mal, oder?
A: Doch, einmal ganz kurz.
J: Stimmt, aber wirklich nur sehr kurz. Die meiste Zeit hängen sie in diesem Plattenladen rum. Man sieht sie mal auf Festivals oder bei Konzerten. Aber der Weg dahin – also dieses wochen- oder monatelange Üben – wird komplett ausgeblendet. Da steckt schon ein ziemlicher Geniekult drin: Jemand hat eine Idee, schnappt die Gitarre und spielt einfach los.
A: Das hätte ich jetzt gar nicht so gesehen, weil ich eher das Gefühl hatte, dass der Film gerade nicht an Geniekult interessiert ist. Und das bisschen, das es gibt, wird eher ironisch gebrochen. Zum Beispiel dieses Voiceover von Euronymous, das ständig sein Mantra „I started true Norwegian Black Metal“ wiederholt. Viele der Leute, die die Szene musikalisch wirklich vorangebracht haben, tauchen ja entweder gar nicht auf oder werden in dieser Funktion nicht gezeigt. Etwa der Typ, der am Ende mit im Auto sitzt, wenn sie zu Euronymous fahren, um ihn zu erstechen. Einer der einflussreichsten Musiker der Szene, aber im Film wirkt er wie ein Lakai, der herumkommandiert wird und den “richtigen” Musikern den Kaffee bringt. Dabei hat er zu dem Mayhem-Album enorm viel beigetragen und hatte auch schon eine eigene Band.
J: Okay, den hätte ich vom Film her jetzt tatsächlich gar nicht als Musiker verbucht.
A: Snorre Ruch heißt der, oder „Blackthorn“. Was ich spannend finde: Der Film wählt eine sehr spezifische Perspektive auf seine Protagonisten, schließt aber andere Sichtweisen nicht aus. Es kann ja gut sein, dass viele dieser Leute sehr gute Musiker waren, aber gleichzeitig eben auch totale Volldeppen.
J: Und Verbrecher.
A: Und Verbrecher, ja. Und schwache, instabile Persönlichkeiten, die sich alle über diesen Zusammenschluss profilieren wollen, aber letztendlich weniger miteinander als mehr gegeneinander. An der musikalischen Dimension hingegen ist der Film nicht sonderlich interessiert. Der Fokus liegt auf den Verbrechen. Und die werden in all ihrer Drastik auch überhaupt nicht beschönigt, weder die Morde noch die Brandstifungen. Allein letztere nahmen ja ziemlich krasse Dimensionen an. Die Protagonisten des Films haben damit angefangen, aber dazu stießen in ganz Norwegen noch unglaublich viele Nachahmer. Die waren zusammen für sieben bis zehn zerstörte Kirchen verantwortlich. Insgesamt gab es sechzig bis siebzig Angriffe.
J: Sechzig bis siebzig? Obwohl ich der Kirche ja recht nahe stehe, wusste ich nicht, dass das solche Ausmaße hatte. War dann die Holzkirche, die ich in meinem Urlaub in Bergen so gerne besucht habe, gar nicht die echte?
A: In Bergen wurde jedenfalls auch eine alte Holzkirche angegriffen. Die wurde später restauriert. Interessant ist aber vielleicht auch, wie diese moralische Panik und diese mediale Berichterstattung dem Image, das die Täter von sich aufbauen wollen, in die Hände spielt. Dem ging ja eine ganze Welle voraus: Die Satanic Panic in den USA und weltweit. In den Achtzigern hat das einen riesigen Höhepunkt erreicht, zusammen mit dem christlich-konservativen Backlash in vielen Ländern. Satanisten in irgendeinem greifbaren Sinn waren weder die frühen Bands noch die norwegischen Black Metaller. Aber das Image und der Hass, der sich da in den 90ern in Norwegen plötzlich verlebendigt, ist schon real und hat reale Konsequenzen.
J: Komisch ist ja auch, dass dieser Christian Varg selbst auf die Geschichten von christlichen Missionaren reinfällt, wonach die Anbetung von Odin und Thor mit der Anbetung von Dämonen gleichzusetzen sei. Das ist aber natürlich völliger Humbug, ein Gerücht, dass Christen in die Welt gesetzt haben, um pagane Religionen zu diskreditieren. Das ist wohl kaum die Art und Weise, wie die alten Norweger selbst über ihre Religion gedacht haben. Odin ist ja eine Ordnungsmacht. Wenn der Christian Varg wirklich auf der Seite der Chaosmächte stehen will, müsste er sich innerhalb der nordischen Mythologie auf die Seite der Riesen schlagen oder vielleicht auch auf die Seite von Loki, aber auf keinen Fall auf die Seite von Odin. Das scheint er überhaupt nicht zu verstehen. Er folgt einfach dem Bild, dass die anti-paganen Erzählungen von Odin zeichnen.
A: Schwer zu sagen, ob der im wirklichen Leben auch so ein einfältiger und chaotischer Idiot war wie in diesem Film. Dem Regisseur ging es glaube ich schon sehr darum, ihn maximal mit diesem Film zu beleidigen, was sich unter anderem darin zeigt, dass sie gezielt einen jüdischen Schauspieler engagiert haben, um ihn zu spielen. Und das hat ihn dann auch wirklich extrem geärgert als der Nazi, der er auch heute noch ist.
J: Ja, sein merkwürdiger Okkultismus mit den nordischen Gottheiten schließt auch an Praktiken an, die die Nazis einführen wollten oder die ihnen zumindest zugeschrieben werden. Dennoch ist es seltsam, dass sie zugleich auch behaupten, Satanisten zu sein.
A: Die haben ja nichts mehr mit dem LaVey-Satanismus der Church of Satan zu tun. Von dem wollten sie sich explizit abgrenzen, weil dessen Anhänger das als humanistische Religion verstehen, bei der das Individuum im Zentrum steht.
J: Was wiederum mit libertären Ansichten zusammenfällt.
A: Ja, aber immerhin halbwegs konsequent. Hier hingegen ist alles erratisch und laienhaft. Da steckt keine durchdachte Philosophie dahinter. Es geht schlicht darum, das zirkushafte Image ihrer Metal-Ikonen in etwas Authentisches und tatsächlich Böses zu verwandeln. Der Film zeigt dieses Gebaren als etwas Kindisches, das aber wie ein Schneeball ins Rollen gerät und irgendwann vor nichts mehr zurückschreckt, um die Aufmerksamkeitsspirale weiterzudrehen. Was gespielt und behauptet wird, muss schließlich wahr werden. Das finde ich als ‘True Crime’-Ansatz recht ungewöhnlich, aber sehr eingängig: Man redet ganz viel und wirft sich in Pose, und muss dann, um nicht als ‘Poser’ zu gelten, dem Ganzen in letzter Instanz Taten folgen lassen. Und genau darin kippt etwas, das ursprünglich performativ gedacht war: Das Spiel mit dem Bösen verliert seinen sicheren Rahmen. Das Ironische, Maskenhafte, das ja eigentlich Distanz schaffen sollte, wird verraten, sobald man anfängt, die eigene Pose wörtlich zu nehmen. Die Kunstfigur wird zu Fleisch, und aus dem performativen Akt wird ein realer Gewaltakt.
J: Ja, das stimmt. Es ist aber natürlich schon ein komisches Kunstverständnis, jede Trennung zwischen einer Kunstfigur und seinem wahren Ich so rigoros abzulehnen. Euronymus versucht ja noch, ein bisschen zurückzurudern, wenn er am Ende sagt: „Ja gut, aber ein bisschen machen wir das ja auch nur, weil das Teil des Spiels ist.” Aber er selbst hat das Ganze schon viel zu sehr entfesselt, als dass es wirklich noch ein Spiel sein könnte.
A: Ihm wird im Film ja auch noch am ehesten zugestanden, dass er ein Mensch ist, der sich in etwas verrannt hat und da nicht mehr rauskommt. Historisch kann man das, glaube ich, auch anders interpretieren. Für den dramatischen Aufbau wird es aber so gesetzt, damit Euronymous auf gewisse Weise immer noch als Prtagonist das identifikatorische Zentrum der Geschichte bilden kann.
J: Und er wird ja am Ende auch zum Opfer eines Mordanschlages. Auch deshalb wird seine Rolle im Nachhinein vielleicht positiver gelesen, als sie es tatsächlich war.
A: Genau, und dann diese Frau – die Partnerin von Euronymus –, die für den Film erfunden wurde, und ihm etwas Nahbarkeit verleiht.
J: Was ich halt noch interessant finde, ist, dass Euronymus und die anderen Protagonisten im Film das machen, was man heute auch bei der Neuen Rechten sieht und manchmal als vice signaling bezeichnet, also dass man seine eigene Schlechtigkeit oder Bosheit so sehr herausstellt und teils sogar noch böser wirken möchte, als man es tatsächlich ist. Bei den meisten bösen Menschen ist das ja nicht so. Selbst ein Diktator würde vermutlich zumindest behaupten, dass er doch nur Gutes will und alle ihn bloß missverstehen, oder Ähnliches. Hier sehen wir das extreme Gegenteil. Euronymus tut ja sogar so, als würde er mit Knochen seines verstorbenen Freundes als Schmuck rumlaufen, er lässt sogar zu, dass ein anderer Freund deswegen die Band verlässt, und am Ende stellt sich raus, dass es bloß Hühnerknochen sind.
A: Deshalb ist die Verteidigung von Christian Varg im realen Prozess gar nicht so unplausibel gewesen. Zwar legt der Film nahe, dass er das angebliche Mordkomplott von Euronymous nur als Vorwand nahm, um selbst zu töten, aber in einer Subkultur, die gleichermaßen von leeren wie potenten Drohungen durchdrungen ist, lässt sich das kaum eindeutig beweisen. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ideologisch motivierte Gewalttaten so schwer als solche zu ahnden sind. Auch bei Faust fragt man sich ja, warum er diesen Mann im Wald tötet. War es der Wunsch, „einmal einen Mord zu begehen“? Oder war er in dieser Schwulenbar, weil er selbst schwul ist und sich da im Affekt etwas kanalisiert hat?
J: Das hätte ich jetzt auch so verstanden.
A: Oder hat er sich vielmehr ganz berechnend diesen Mann ausgesucht, weil er auf Grundlage einer faschistischen Ideologie dachte: „Der ist schwul, das ist unwertes Leben, den kann ich töten“? Diese Ambivalenzen sind im Film sehr stark angelegt, auch weil wahrscheinlich niemand mehr exakt rekonstruieren kann, was aus welchen Motiven heraus geschah. Wenn man die Geschichte als solche ernst nimmt und erzählen will, ist das eine ziemlich gute Form, die der Film dafür findet. Es ist ja auch tonal interessant, wie der Film Absurditäten herausstellt und die Unausgegorenheiten in dieser pubertären Männervereinigung sucht. Was sie als ihren bedeutenden „Inner Black Circle“ bezeichnen, ist im Grunde nur eine informelle Partyrunde. Gleichzeitig wird die Gewalt so realistisch präsentiert, dass keinerlei Glorifizierung mehr möglich ist. Sie ist so konkret, brutal und unangenehm, dass damit fällt jede Mystifizierung zwangsläufig abfällt.
J: Und auch die Verbrennung der Kirche wird einfach als das gezeigt, was sie ist, und nicht als irgendein mystifizierter Akt des Widerstands. Diese Szene fängt die Lust an der Zerstörung und die Gehässigkeit gegenüber anderen ein. Und auch die totale Gleichgültigkeit, als die Nachricht kommt, dass ein Feuerwehrmann bei Löscharbeiten umgekommen ist. Selbst wenn der Feuerwehrmann bei einem Brand umgekommen ist, den Nachahmer gelegt haben, haben ja auch Euronymus, Varg und die anderen das Risiko, dass Menschen im Feuer umkommen, jedes Mal in Kauf genommen.
A: Und es ist halt wirklich spannend, warum sich so etwas aus einer Kultur heraus entwickelt, die augenscheinlich so gesetzt, wohlständig und in sich ruhend ist. Ob vielleicht genau das diesen Widerstand auslöst. Der Film zeigt ja auch sehr eindrücklich, dass die meisten Leute in dieser Szene eigentlich total privilegiert sind.
J: Stimmt, Euronymus stammt aus einer super privilegierten Familie, und Varg vermutlich auch.
A: Es wird recht deutlich, dass diese Abtrünnigkeit eine bewusste Wahl ist. Und erst mal auch so eine klassische Teenager-Rebellion, bis das dann völlig außer Kontrolle gerät.
J: Für Dead, der so stark psychisch krank ist und in diese Welt hineingerät, ist das ja ein bisschen Segen und Fluch zugleich. Woanders hätte er vermutlich kaum Freunde gefunden, die tolerieren, dass er den ganzen Tag mit einer toten Krähe herumläuft. Andererseits haben sie ihn vermutlich noch tiefer in seinen Wahn reingezogen und nichts unternommen, als sie gemerkt haben, dass es immer schlimmer wird. Interessant finde ich dabei sowieso einfach, wie es die Leute in dieser Szene überhaupt schaffen, etwas zusammen auf die Beine zu stellen. Um in einer Gruppe zu kooperieren, muss man sich ja an gewisse moralische Regeln halten. Und Euronymus und Varg setzen am Ende ja sogar einen Vertrag auf, und zwar einen Vertrag, der auf ganz klassischen Gerechtigkeitsprinzipien beruht. Also ganz klassisch, wie auch Platon und Aristoteles argumentieren könnten: Jedem steht das Seine zu, und deshalb hat auch Varg Rechte an seiner Musik. In dem Moment, in dem Varg seine Eigentumsrechte bedroht sieht, ist plötzlich von der Umwertung aller Werte keine Rede mehr. Da ist eine Grenzverletzung auf einmal nicht mehr cool.
A: : Ja, letztendlich geht es um ganz primordiale Motive wie Gier und Eifersucht.
J: Und Geltungssucht und Konkurrenz untereinander.
A: Die unterläufigen Instinkte, die sich da Bahn brechen. Gleichzeitig himmelt man diese Instinkte aber auch an. Varg sieht sich ja gerne als Übermensch und betrachtet alle anderen als Schwächlinge. Das spielt schon eine Rolle, aber philosophisch ist das extrem inkonsistent und ziemlich plump.
J: Dennoch ist der Varg halt auch in diesem Sinne gar nicht besonders. Er hat einen ganz gewöhnlichen Mord aus ganz gewöhnlichen Motiven begangen. Dafür muss nicht das halbe Pandämonium zur Erklärung heraufbeschwören werden. Das hätte auch in jedem anderen Milieu passieren können, zum Beispiel zwischen zwei konkurrierenden Schlagerstars oder Country-Sängern.
A: Genau, es ist eigentlich eine total pervertierte Tragödie. In klassischen Tragödien geht es ja meist um noble Absichten, die ungünstig eskalieren. Man möchte das Richtige tun, begeht einen fatalen Fehler und reitet sich immer weiter rein. Und ein bisschen hat der Film auch diese Struktur. Euronymous wollte eigentlich nur eine mehr oder weniger harmlose Nachwuchsband gründen, die vielleicht ein bisschen subversiv ist und Stunk macht, und dann läuft alles völlig aus dem Ruder. So richtig können die meisten das gar nicht anerkennen, mit der Ausnahme von Faust vielleicht, der seinen Mord sofort zugibt und als Werbemittel anbietet.
J: Stimmt, als der Bericht über den Feuerwehrmann im Radio läuft, dreht sich Euronymus ja auch um und hört ganz bewusst weg. Da ist auch wieder diese Hilflosigkeit gegenüber dem Bösen, die man bei vielen sieht. Nach außen wollen sie ja das Böse, wollen unbedingt als böse wahrgenommen werden, aber trotzdem wollen sie das Böse in all seiner Konsequenz auch nicht wirklich sehen.
A: Und diese Ignoranz funktioniert auch deshalb, weil man sich in der Gruppe gut verstecken kann. Man ist Teil einer amorphen Menge.
J: Bei dem Mord, den der Faust begangen hat, sieht man eine ähnliche Dynamik. Als Euronymus davon erfährt, muss er das sofort in eine größere Gruppe reingeben, um sich durch deren Mitwisserschaft dann auch selbst zu schützen.
A: Asbolut! die Mitwisserschaft in diesem inneren Zirkel ist auch dafür da, die Verantwortung für diese Taten zu verteilen und damit ein Stück weit abzugeben.
J: Das zeigt gut, wie so etwas in Institutionen funktioniert. Ob du jetzt die Missbrauchsfälle in der Kirche nimmst oder in einem Sportverein, oder Korruption in Ämtern: Auch dort versucht man, möglichst viele Leute mit hineinzuziehen, indem man sie erst bei kleineren Übertretungen zu Mitwissern macht, sodass sie später das Gefühl haben, sich den Haupttätern nicht mehr entgegenstellen zu können, wenn die immer schwerere Verbrechen begehen. In einer Szene merkt man ja deutlich, dass der Schlagzeuger der Band die Kirchenverbrennungen missbilligt, aber scheinbar auch nicht weiß, was er tun soll und wie er da rauskommen könnte. Wie so viele Leute, die sich in Institutionen mitschuldig machen, dreht er sich einfach nur um und geht weg.
A: Da hast du diese Abgebrühtheit, die nach außen getragen wird: „Wir sind im Prinzip Satansleute, uns schockt nichts.“ Aber im Inneren wirken sie oft eher hilflos und überfordert von dem, was sie selbst angestoßen haben. Bemerkenswert ist ja auch, dass sie gegen die Kirche begangene Verbrechen wie Zwangsmissionierung als Rechtfertigung anführen, sie zerstören zu müssen. Und gleichzeitig funktioniert die Gewalt, die sie selbst produzieren, strukturell ganz ähnlich.
J: Ja, total. Sie sind ja auch ein bisschen wie ein Kult organisiert.
A: So ein Amateurkult, irgendwie.
J: Die Kirche hat natürlich eine viel größere, weitreichendere Organisation, aber so Grundstrukturen sind schon recht ähnlich, also dahingehend, wie man sich nach außen abschirmt und so eine Art Schweigekartell etabliert.
A: Und dieses Soziologische ist dem Film viel wichtiger als die Frage nach Katharsis oder Habitualisierung. Diese Debatte führt er gar nicht. Indem er die Musik und andere performative Elemente fast komplett ausklammert, lenkt er den Fokus auf die sozialen Dynamiken. Man sieht zwar ein Konzert, aber eigentlich nur, um zu zeigen, dass sie damit Erfolg haben und eine gewisse Anerkennung bekommen. Es wird nicht thematisiert, was die Musik inhaltlich macht oder ob sie irgendeinen Einfluss auf die Taten hat. Viele True-Crime-Erzählungen tun ja so, als würden sie eine Art psychologische Tiefenerklärung liefern. Lords of Chaos macht das nicht. Er zeigt eher, wie schnell bestimmte soziale Konstellationen eskalieren können, wenn niemand Verantwortung übernehmen will und alle gleichzeitig nach außen eine Rolle performen, die sie innerlich gar nicht tragen können.
J: Und damit wird der Film ja auch zu einer Art Anti-Mythologie. Dieser ganze Kult um Authentizität, um „True Norwegian Black Metal“, um Radikalität, der fällt in sich zusammen, sobald man sieht, wie banal und zufällig sich diese Taten aus gewöhnlichen Gruppendynamiken heraus ergeben haben.
