Advanced Roleplaying System: The Caller (Arthur Allan Seidelman, USA 1987)


Darum geht’s: Eine Frau, die allein in einem kleinen Haus im Wald lebt, bekommt Besuch von einem Fremden, der behauptet, sein Auto sei im Wald liegen geblieben. Doch die beiden wirken seltsam vertraut und scheinen ihre Dialoge wie Schauspieler aufeinander abzustimmen. Alles also nur ein Rollenspiel? Warum aber sorgt sich die Frau dann so verzweifelt um ihre Tochter und was weiß der Fremde über ihr Verschwinden?


Achtung: Schwere Spoiler!


A: Also mich hat der Film jetzt im Nachhinein an diese Twilight-Zone-Episode aus den 60ern erinnert, The Monsters Are Due on Maple Street (Winston/Serling, USA 1969). Da ist diese amerikanische Kleinstadt, die mit ganz wenigen Leuten bevölkert ist. Und dann kommt irgendwann so ein Meteorit vorbei und alle technischen Geräte und Autos fallen aus und überhaupt alles, was Energie braucht. Zuerst versuchen die Leute noch halbwegs souverän darauf zu reagieren. Doch gewisse Aspekte scheinen von außen manipuliert zu sein. Und da ist ein jugendlicher Comic-Fan, der meint, dahinter könnten Außerirdische stecken. Und dann fangen halt einige Leute an, sich gegenseitig zu verdächtigen oder in die Pfanne zu hauen. Es gibt Gerüchte, dass einer in seinem Garten steht und immer in den Himmel schaut. Und das eskaliert immer weiter, ein Krawall bricht aus. Und am Ende stehen am Wegesrand zwei Aliens, die sich unterhalten und sinngemäß sagen: “Ja, man muss nur ein paar gewohnheitsmäßige Routinen ändern und schon fallen die Menschen übereinander her. Das ist eine prima Idee für eine Invasion.“

J: Stimmt, aber einen interessanten Unterschied gibt es doch. In beiden Fällen hat man Außerirdische oder Roboter, die menschliches Sozialverhalten erforschen wollen, doch in The Caller wollen sie das seltsamerweise an einer einzelnen Person beobachten. Normalerweise würde man ja denken, dass menschliches Verhalten sich erst in einer Gruppe richtig zeigt. Klar, hier gibt es die Interaktion mit dem Roboter, aber die Frau weiß ja, dass es „nur“ ein Roboter ist. Deshalb wirkt ihr Verhalten oft so unnatürlich. Sie fällt immer wieder aus ihrer Rolle und muss sich dann wie eine Schauspielerin, die ihren Text vergessen hat, erst wieder in ihre Rolle hineindenken.

A: Am Ende hat man ja auch das Gefühl, dass diese Aliens oder Roboter eigentlich gar nicht so viel von Menschen verstehen. Was der Roboter durch diese Experimente überhaupt herausfinden will, wird nicht so ganz klar.

J: Das würde halt schon eher für die Theorie sprechen, dass eine KI hinter dem Ganzen steht.

A: Ja, man könnte sich vorstellen, dass eine KI halt diesen ominösen Krieg, von dem immer in Andeutungen gesprochen wird, gewonnen hat und das jetzt alles anleitet. Aber darin hat sie vielleicht kein üergeordnetes Ziel mehr und studiert über ihre Routinen einfach weiter Menschen, weil das das Einzige ist, was sie gemacht hat, um zu überleben: Menschen erforschen, um ihre Schwächen herauszufinden und sich so zu behaupten.

J:
Genau, aber am Anfang ist einem die Sinnlosigkeit des Ganzen noch gar nicht richtig bewusst. Da denkt man nur: Okay, eine Frau alleine im Wald und da kommt so ein mysteriöser Fremder. Vielleicht könnte das bedrohlich sein. Doch dann merkt man schnell, dass die sich eigentlich irgendwie kennen, und nur so tun, als ob sie Fremde wären, aber dieses So-tun-als ob scheint zunächst gar keinen Zweck zu haben.

A:
Man fragt sich die ganze Zeit, warum sie diese ganzen Spiele spielen, die erstmal total selbstzweckartig wirken. ‘Mind Games’ würde man auf Englisch vielleicht dazu sagen. Und da finde ich es schon plausibel, dass auch die KI selbst vielleicht gar keinen Sinn darin sieht.

J:
Erst denkt man sogar, die machen vielleicht nur extrem ambitionierte Rollenspiele. Aber dann geht das immer mehr ins Extreme, und man merkt, dass das nicht mit rechten Dingen zugeht. Spätestens, wenn die abgeschnittene Hand im Kühlschrank liegt.

A:
Und oft machen sie Sachen, wo man als Zuschauer zunächst gar nicht weiß, worum es geht, zum Beispiel, als sie Fotos von ihm machen möchte, aber er wehrt sich dagegen. Und erst am Ende stellt sich heraus, dass sie eigentlich die Umgebung fotografieren wollte, um zu sehen, wo dieses Kraftfeld herläuft, durch das man aus dem Spiel entkommen kann. Es gibt so viele Kleinigkeiten, die erst im Nachhinein Sinn ergeben, aber einen während des Sehens verunsichern.

J:
Manchmal wirkt es auch, als würden sie für eine Art Live-Rollenspiel trainieren, weil sie sich auch gegenseitig verbessern in ihren Rollen. Dagegen spricht aber, dass nur sie gefühlmäßig involviert ist. Er hingegen ist nicht nur distanziert, sondern sagt auch Sachen wie: „Kälte fühle ich gar nicht.“ Da habe ich das erste Mal gedacht: Ist das überhaupt ein Mensch? Aber dann verwirft man diesen Gedanken auch wieder, weil das so gradlinig durchgespielt ist.

A:
Weil der Anfang einen dann noch so ein bisschen auf eine Suspense-Schiene führt, wo sie mit diesem Kuchen ankommt und da tropft irgendwas raus.

J: Und dann ist da der Moment, wo sie mit der Tochter telefoniert, der auch erst im Nachhinein Sinn ergibt. Man weiß dann: Okay, die wird in irgendeinem anderen Experiment festgehalten und der Mutter wurde versprochen, dass sie die Tochter sehen darf, wenn sie in einem Spiel 50 Punkte erreicht und das Kraftfeld durchbricht.

A: Im Spiel darf sie wohl nie aus ihrer Rolle fallen, wenn sie die Punkte erreichen möchte. Als sie in der leeren Stadt tankt, ruft sie sogar nach dem Tankwart, obwohl er gar nicht in Hörweite ist.

J: Die Stadt ist ja ohnehin völlig entvölkert. Aber es wird bis zum Ende nicht klar, warum das so ist.

A: Ich hätte das so verstanden, dass jeder von diesen paar Tausend noch lebenden Menschen hinter einer eigenen Barriere ist oder in so einer Art Simulationsraum, der aufgebaut wurde. Wahrscheinlich gibt es im üblichen Sinne nicht mal einen Himmel, am Ende wird alles so komisch rötlich.

J: Nur diesen Freund oder Partner, den gibt es wohl wirklich. Der durfte immerhin mal zu Besuch kommen.

A: Sonst scheint in dieser Stadt und in ihrem Haus aber gar nichts echt zu sein.

J: Sie hat so ein paar Sachen, die sie an ihr voriges Leben erinnern. Die Bilder und Dias sind wahrscheinlich schon echt. Aber ob das ihr echtes Haus ist oder nur eine Nachbildung?

A: Das ist auch so überzeugend, gerade in dem Low-Budget-Kontext, in dem dieser Film gedreht wurde. Das Haus wurde wohl extra für den Film gebaut. Das ist schon sehr eingelebt, aber auch ökonomisch irgendwie, damit es für ein Filmset funktioniert. Das überträgt sich dann auch auf die Logik des Films.

J: Man hat das Gefühl, dass die Frau versucht, ein paar echte Erinnerungen vor ihm und seinen Inszenierungen zu retten. Sie versteckt ihre Dias und Notizbücher immer wieder in den Schränken. Obwohl ihr selbst wahrscheinlich auch immer weniger klar ist, was eine echte Erinnerung ist und was Teil der Inszenierung, denn vermutlich haben sie schon viele Runden gespielt und sie lebt in völliger Isolation von anderen Menschen

A: Das ist ja auch so ein bisschen diese Idee der Singularität, dass die sich in so einer Art weiterentwickelt, dass das für das menschliche Gehirn nicht mehr greifbar ist.

J: Auch das Zeitgefühl scheint irgendwie verzerrt zu sein. Mal redet sie so, als wäre dieser Krieg schon ganz lange her, doch dann wieder so, als wäre die Tochter erst 9 oder 10 Jahre alt. Sie war aber auch während des Krieges schon 6 oder 7 Jahre alt. Vielleicht geht das Zeitbewusstsein auch verloren, da das Spiel immer wieder auf Anfang gesetzt wird. Die KI hat vielleicht ohnehin eher ein zyklisches Zeitbewusstsein.

A: Wobei das ja eigentlich eher so das Gegenteil von diesem Singularitätscharakter ist.
Irgendwie macht das den Film sehr modern. Man denkt nicht: Okay, das ist diese Singularität, die alles übersteigert. Es ist eher schon die Idee einer stumpfen KI. Sie ist für einen Zweck geschaffen und diesen Zweck kann sie nicht transzendieren. Sie ist nur in dem am besten, wofür sie geschaffen wurde. Das passt auch gut zu der Idee des Set-Backs. Wenn du dich mit einer KI unterhälst, einem Chatbot oder so, dann kann der nur einige Dutzend oder vielleicht auch schon ein paar Hundert Wörter behalten. Er hat so ein Goldfisch-Gedächtnis.

J: Vielleicht spielen die Fische in dem Aquarium, die immer wieder eingeblendet werden, auch darauf an.

A: Das könnte sein. Und das andere, was man damals noch gar nicht so richtig sehen konnte, was sich aber heute ganz stark zeigt, ist, dass die KI einen Gamification-Charakter hat.

J: Ja, und hier im Film ist das Ganze eigentlich nur eine Art grausames Spiel, wobei „grausam“ vielleicht nicht das richtige Wort ist, wenn es um eine KI geht.

A: Sie wirkt aber tatsächlich irgendwie ähnlich verzweifelt oder trostlos wie die menschliche Seite. Weil die halt beide nichts machen können, außer das immer wieder neu durchzuspielen. Das Einzige, was das irgendwie durchbrechen könnte, wäre vielleicht, dass dieser andere Android, mit dem sie das alles vorher schon durchgespielt hat, Gefühle für sie entwickelte. Das wird ja am Ende von dem neuen Replikanten angedeutet, aber als Fehler betrachtet.

J: Ich frage mich auch, was eigentlich hinter der Wand des Kraftfeldes ist. Vielleicht einfach das nächste Level. So eine Spiellogik ist ja oft auf das unendliche Weiter angelegt, wie in Cube (Natali, CND 1997).

A: Oder wie The Cabin in the Woods (USA 2011) von Joss Whedon. Das fängt ja als Horrorfilm an, aber ab der Hälfte kippt das um und du siehst, dass die Leute von Wissenschaftlern beobachtet werden und es eigentlich darum geht, die menschliche Psyche und menschliche Entscheidungen zu observieren.

J: Faszinierend finde ich in The Caller aber, dass die Menschen dabei gar nicht so schlecht wegkommen. In vielen solcher Geschichten geht es ja darum, die menschliche Niedertracht zu entlarven. Hier hingegen gar nicht – alles, was die Frau tut, macht sie aus einer tiefen moralischen Motivation heraus. Und wie die KI die Welt übernommen hat, erfährt man gar nicht. Der Film verzichtet völlig darauf, so eine Art Frankenstein-Geschichte zu erzählen nach dem Motto: Die Menschen waren so arrogant, wollten Gott spielen und dann werden sie von ihren eigenen Geschöpfen versklavt. Hier könnte es genauso gut eine Macht von außen sein, die die KI zur Erde gebracht hat. Dem Film ist das letztendlich egal. Was das Menschenbild angeht, ist das eigentlich ein sehr optimistischer Film.

A:  Das ist schon anders als in der Twilight Zone– Folge, wo die Menschen bei der kleinsten Manipulation anfangen, sich gegenseitig zu zerfleischen.

J: Hier ist es tatsächlich genau andersrum. Menschen sind unglaublich zäh und widerstandsfähig. In dieser grausamen Situation, wo die Frau wirklich über alle Maße strapaziert wird, hält sie trotzdem immer noch dagegen. Und es liegt viel Stärke in der Beziehung von Mutter und Tochter.

A: Genau, und diese extreme Trostlosigkeit der KI im Vergleich zu ihr ergibt sich halt auch daraus, dass dieser Caller gar keinen Sinn in seinen Handlungen sieht. Und die KI kommt an die menschliche Sinnhaftigkeit auch nicht heran, sie kann diesen Code nicht knacken. Sie kann sich nicht erklären, warum die Menschen im Angesicht dieser extremen und endlosen Niederlage nicht einfach aufgeben. Das ist letztlich schon eine Durchsetzung des Menschlichen gegenüber dem Maschinellen.

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