Ein fröhlicher Exorzismus: Santet (Sisworo Gautama Putra, IDN 1988)


Darum geht’s: Unter der Beschuldigung der schwarzen Magie ermordet Bisman (I. Gusti Jagat Karana), der Anführer einer Verbrecherbande, den Ehemann von Katemi (Suzzanna). Doch diese Lüge holt Bisman auf unerwartete Weise ein, als Katemi bei ihrer Flucht durch den Wald auf Nyi Angker (Joice Erna) trifft. Das Doppelwesen aus Mensch und Krokodil weist sie in magische Praktiken ein. Als Katemi in ihr Dorf zurückkehrt, häufen sich die mysteriösen Todesfälle. Achmad (Jeffry Waworuntu), der Sohn des Sheriffs, versucht die dunklen Mächte mit der Hilfe Gottes zu stoppen.


Achtung: Schwere Spoiler!


A: Ein spannender Film. Gut gegen Böse. Religion gegen schwarze Magie.

J: Aber auch Böse gegen Böse. Die Hauptkonfliktlinie ist ja Verbrecher gegen Magier*innen.

A: Die schwarze Magie wird hier im Grunde einfach als Waffe benutzt. Um etwas zu erreichen, was im Sinne des Films eigentlich gerecht ist. Aber es auf diesem Wege zu erreichen, ist unmoralisch. Ein bisschen so wie im Italo-Western. Man handelt unmoralisch, aber möchte dadurch letztendlich Gerechtigkeit herstellen.

J: All das geschieht aber, weil das Dorf so abgelegen ist, dass die staatlichen Strukturen mit ihrem Gewaltmonopol dort nur eingeschränkt hinreichen. Es gibt einen Sheriff, der sehr bemüht, aber gegen die gut vernetzten Gangster trotzdem ziemlich machtlos ist. Achmad, der nach Hause zurückkehrt, bringt vielleicht die Hoffnung mit, dass es in der nächsten Generation besser funktioniert.

A: Kann sein. Obwohl er auch keine großen Erklärungen oder Verbesserungsvorschläge hat. Ich weiß auch gar nicht, ob er im Sinne des Films diese wundersamen, göttlichen Kräfte schon vor seiner Rückkehr hatte oder ob er sie erst annimmt, um Ordnung zu schaffen.

J: Ich glaube, die Idee ist, dass jeder, der wirklich glaubt und zu Gott betet, gegen böse Mächte immun ist und diese Mächte abwehren kann. Achmad soll kein ausgebildeter Exorzist oder etwas Ähnliches sein, sondern einfach ein frommer Mensch, vielleicht auch ein religiöser Lehrer.

A: Gegen die böse Magie kommt man irgendwie an, aber gegen die bösen Menschen gar nicht. Das fängt ja damit an, dass der eigentliche Imam des Dorfes von dem Barbesitzer Bisman umgebracht wird, weil der dessen Frau haben will.

J: Ja, und der Mord geschieht unter der Beschuldigung der schwarzen Magie. Diese Spannung durchzieht den ganzen Film: Die Gangster verbreiten Lügen über schwarze Magie, um eine Rechtfertigung dafür zu haben, dass sie Menschen ermorden, die sie nicht leiden können oder die sich ihnen in den Weg stellen. Doch plötzlich löst sich die Grenze zwischen Erzählung und Wirklichkeit auf – sie werden von einer Magierin verfolgt und einer nach dem anderen getötet. Das ist schon so ein bisschen wie „Die ich rief / die Geister/ werd ich nun nicht los“.

A: Zunächst nutzen die Gangster die schwarze Magie als Tarnung. Damit treibt der Barbesitzer die Leute selbst zu diesen Praktiken. Die Witwe Katemi flieht ja vor ihm durch den Wald und trifft dort in einer Grotte die andere Magierin Nyi Angker, die sie ausbildet. Es ist interessant, dass diese Welt der schwarzen Magie in der Kultur einfach neben den anderen Ordnungsprinzipien existiert und in dieser Erzählung schon eine gerechtfertigte Funktion hat, auch wenn sie am Ende wieder eingefangen und vertrieben werden muss. Gegen dieses banale Böser der Menschen scheint man anders gar nicht anzukommen.

J: Wobei der Film trotzdem in dieser Spannung steht, die man auch in einigen Werken der schwarzen Romantik findet, einerseits darüber aufklären zu wollen, dass es Magie und Hexerei nicht gibt und Hexenverfolgungen immer auf Verleumdungen und Aberglauben beruhen. Es gibt ja hier diese tolle Szene, wo diese Händler ins Dorf kommen und Amulette verkaufen. Und dann flüstern sie miteinander und sagen so etwas wie: „Ist das nicht gut, dass wir aus den Ängsten der Dorfbewohner Profit schlagen können?“ Aber andererseits zeigt uns der Film dann eine Welt, in der Magie und Hexerei eben doch existieren.

A: Überhaupt hat der Film nachher neben Unterhaltungselementen auch viele Elemente, die eine bildende, pädagogische Wirkung haben. Der Film scheint – trotz der Horrorszenen –  etwas zu sein, was man mit der ganzen Familie schaut und der dabei über alle möglichen gesellschaftlichen Missstände aufklären soll.

J: Mit dieser Musical-Einlage in der Mitte, wo einer der beiden Polizeigehilfen singt,
dass er als armer Mensch leichter verdächtigt wird, Unrecht getan zu haben. Das schließt insofern gut an das Thema der schwarzen Magie an, da es hierbei auch um Hörensagen und Gerüchte geht.

A: Also irgendwie vermittelt der Film auch Skeptizismus. Es ist zwar ein Plot,in dem sich ein religiöser Gelehrter einen magischen Kampf mit einem humanoiden Krokodil liefert, doch dabei sagt der Film dauernd: “Leute, glaubt nicht alles, was man euch erzählt. Viele Leute versuchen, euch reinzulegen. Das meiste, was als Magie oder Wunder verkauft wird, ist schlicht Unsinn.”

J: Und er zeigt auch, dass es eine Gefahr ist, dass solche Beschuldigungen strategisch in die Welt gesetzt werden, um Leute loszuwerden, die man loswerden möchte.

A: In den USA wäre das ein Drive-In-Film gewesen, bei uns wäre er vielleicht im Bahnhofskino gelaufen. Es ist schon bemerkenswert, dass er so einen starken moralischen Kern hat.

J: Und gleichzeitig hat er auch sehr humorvolle Elemente, die ich in einem Horrorfilm gar nicht erwartet hätte.

A: Diese beiden Wachleute stehen völlig in der amerikanischen Tradition des Komikerduos. Abbot & Costello, Martin & Lewis, etc. Es wäre interessant zu wissen, ob die vielleicht auch in anderen Filmen ähnliche Rollen spielen und das immer wieder replizieren. Sie stellen eine Verbindung mit dem Publikum her.

J: Auf jeden Fall sind das die Figuren, die einem als Zuschauer als Identitfikationsfiguren angeboten werden. Achmad wird ja überhaupt erst nach etwa Dreiviertel des Films in die Handlung eingeführt. Dazu kommt, dass er super stoisch ist. Und mit Katemi kann man sich vielleicht am Anfang gut identifizieren, wo sie überwiegend in der Rolle der Witwe ist, doch hinterher wird sie eher zur Gegenspielerin, die die dunklen Mächte in das Dorf bringt. Die beiden Wachleute sind schon die Charaktere, denen man durch den Film folgt, die vom ersten Moment bis zum letzten mit dabei sind.

A: Das sind irgendwie so die einfachen Leute halt, mit denen sich das Publikum – gerade auch auf dem Land – identifizieren konnte.

J: Gleichzeitig stehen sie aber auch für die staatlichen Strukturen, die sich
etablieren sollen. Sie haben eine interessante Zwischenposition: Einerseits sind sie total in die Dorfgemeinschaft eingebunden und sollen vielleicht auch wirklich den “typischen Dorfbewohner” repräsentieren. Gleichzeitig sind sie aber auch Teil von einer übergeordneten, größeren Struktur, die sich durch das ganze Land zieht.

A: Und auch der Held möchte ja am Ende unbedingt, dass sie in ihrer Funktion bleiben. Denn einer von ihnen möchte ja aufhören, als Bisman die Macht im Dorf übernimmt. Und dann sagt Achmad: “Nein, du musst gerade dann, wenn so etwas passiert, im Amt bleiben.” Das ist auch schon irgendwie sehr demokratisch. Wenn man das vergleicht mit bestimmten japanischen Rache-Geschichten, wo Frauen misshandelt werden und dann auf Rachefeldzug gehen – da ist es oft so, dass die Behörden und alle staatlichen Strukturen völlig marode sind. Doch ein positives Gegenbild gibt es auch nicht. Alles ist einfach apokalyptisch, alle Strukturen zerfallen. Das ist hier nicht so. Hier gibt es ein Ideal, nach dem man sich eigentlich richten will. Da hat der Film wirklich so ein bisschen eine Lehr- und Aufklärungsfunktion.

J: Und die Religion ist in dieser Hinsicht auch sehr interessant, oder die Art, wie sie ausgeübt wird. Achmad ist völlig anders als man sich einen Kämpfer gegen schwarze Magie oder einen Exorzisten in europäischen oder US-amerikanischen Filmen oft vorstellt. Er ist super stoisch, schaut sich alles erstmal in Ruhe an, mit seiner Gebetskette in der Hand. Und dabei hat er ein riesiges Gottvertrauen, aber keinerlei Hass, sondern ist voller Verständnis selbst für die Leute, die die schwarze Magie praktizieren. Er hilft Katemi dann sogar, einen Weg aus der schwarzen Magie zu finden. Und auch bei der Nyi hat man nicht das Gefühl, dass er aus Hass gegen sie kämpft, sondern einfach, weil er das Ganze irgendwie stoppen muss.

A: Das finde ich auch sehr ungewöhnlich, gerade im Vergleich zu so etwas wie The Grim Reaper. Wo es halt für viele Menschen unmöglich ist, noch in den Himmel zu kommen, wo es wirklich extrem schwierig ist, Vergebung zu erfahren oder göttliche Gnade. Und hier hat Katemi relativ viel Chaos angerichtet, gegen große Regeln verstoßen, schwarze Magie praktiziert, und dann heißt es nur: „Komm einfach wieder auf unsere Seite.“

J: Überhaupt wird in dem Film nicht einmal mit der Hölle gedroht oder diese auch nur erwähnt. Die schwarze Magie scheint auch nicht unbedingt eine Machenschaft höllischer Kreaturen zu sein. Ihr Ursprung bleibt letztlich rätselhaft. Der Grundton ist: Gott vergibt, und wenn man zu Gottes Wegen zurückkehrt, kann man auch wieder Teil der Dorfgemeinschaft werden.

A: Stimmt, hier kann man sich zwar auch denken, dass die beiden Frauen ihre Kräfte irgendwoher haben müssen, aber ein Dämon kommt nicht vor. Vielleicht steht irgendeine dämonische Macht im Hintergrund.

J: Ja, aber diese Macht ist nicht sichtbar und letztlich auch nicht interessant. Das ist anders als in diesen typischen westlichen Exorzismus-Filmen, wo der Dämon meist stark im Mittelpunkt steht und den Priester letztlich mehr interessiert als Gott.

A: Und es wird auch wenig in den Vordergrund gestellt, dass es ja eine Frau ist, die hier schwarze Magie praktiziert. Es wird betont, dass sie in einer Position der Schwäche ist, wo sie eben auch gesellschaftlich keine Hilfe bekommt, was dann ja auch der Grund dafür ist, dass sie sich überhaupt in die schwarze Magie flüchtet. Aber es geht halt nicht, wie in vielen Exorzismus-Filmen, um die Korruption der Unschuld, also um diese Diskrepanz dazwischen, wie eine Frau oder ein Mädchen zu sein hat und wie dann dieses Monster agiert.

J: Und Achmad ist auch nicht selbst völlig schuldzerfressen wie der Priester in The Exorzist (Friedkin, USA 1973) , der selbst extrem mit seinem Glauben hadert und deswegen auch nicht viel ausrichten kann.

A: Hier gibt es keine so große Fallhöhe. Achmad ist ja wie eine Wand.

J: Es geht nicht darum, in sein Inneres zu blicken. Das Einzige, was er symbolisiert, ist das wahnsinnig große Gottvertrauen, was ihn befähigt, alles völlig ruhig zu bewältigen, obwohl der Kampf sehr heftig ist.

A: Ja, das befähigt ihn, Sachen in Brand zu setzen, ein Stück Wald explodieren zu lassen und coole Luftrollen zu machen.

J: Das alles macht er. Aber der Zuschauer erfährt nicht, warum er das kann und wie er das gelernt hat.

A: Da wird überhaupt nichts psychologisiert. Bei Katemi kann man noch ein bisschen verstehen, warum sie handelt, wie sie handelt, doch er wird einfach nur wie jemand gezeigt, durch den im Prinzip Gott direkt handelt.

J: Das passt auch ganz gut zu dem, wie Kämpfe gegen böse Mächte in der Bibel und in anderen antiken Schriften oft dargestellt wurden.

A: Ja, dass Exorzismen in heutigen westlichen Filmen oft anders erscheinen und viel Fokus auf das innere Ringen der Exorzisten legen, hängt wahrscheinlich so ein bisschen mit dem Säkularisierungsgrad zusammen. Auch in den 1970ern konnte man wahrscheinlich schon davon ausgehen, dass viele Leute nicht mehr in einem positiven Einklang mit ihrer Religion lebten.

J: Heute gibt es ja manchmal so ein Bild vom Islam, das diesen sehr eingeengt darstellt, sehr unnachgiebig in den Gesetzen und wie diese einzuhalten sind. Der Film vermittelt ein völlig anderes Bild, und er stammt immerhin aus einem von den größten islamisch geprägten Ländern der Erde.

A: Ja, das hat hier schon eine sehr einladende Geste, die einen auch mitnimmt, wenn man nicht so gläubig ist.

J: Ja, ich finde, was hier gezeigt wird, ist einfach eine total sympathische Religion, vor allem, wenn man den Film mit so christlichen Missionierungsfilmen wie The Grim Reaper (Ormond, USA 1976) vergleicht. Ein super offenes und positives Gottesbild.

A: Der straft einen nicht einmal dafür ab, dass man diese schwarze Magie als Spektakel genießt.

J: Nee, genau. Er wird sogar selbst Teil des Spektakels.

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