Geister des Hauses: Sommarnattens leende (Ingmar Bergman, S 1955)


Darum geht’s: Ein Weinritual rüttelt die Paarkonstellationen einer Gruppe von Bonvivants am Anfang des 20. Jahrhunderts durcheinander. Fredrik (Gunnar Björnstrand) buhlt um die Zuneigung seiner viel jüngeren Frau Anne (Ulla Jacobsson), während sein Herz an der alleinerziehenden Schauspielerin Desiree (Eva Dahlbeck) hängt, die aber eine Affäre mit dem Grafen Malcolm (Jarl Kulle) hat. Frederiks orientierungsloser Sohn Henrik (Björn Bjelfvenstam) fühlt sich wiederum zu Anne hingezogen. Auf einer Abendgesellschaft von Desirees Mutter eskaliert der Beziehungsreigen. Derweil vergnügen sich die Bedienstete Petra und der Kutscher Frid im Stall des Anwesens und kommentieren das Geschehen.


Achtung: Schwere Spoiler!


A: Das Lächeln einer Sommernacht.

J: Wer oder was lächelt da eigentlich?

A: Gute Frage. Vielleicht kann man aber auch das Genre der Komödie ein bisschen besser verstehen bei so einem Film, der nicht offensichtlich darauf ausgelegt ist, einen alle 30 Sekunden zum Lachen zu bringen.

J: So oft habe ich eigentlich gar nicht gelacht. Es gab natürlich ein paar Szenen, die auf Amüsement angelegt waren, vor allem die, wo der eifersüchtige Graf Malcolm mit dem Advokaten Fredrik dieses merkwürdige Duell spielt. Viele Szenen fand ich aber sogar eher ein bisschen bitter.

A: Ja, da wird ein Spektrum an Emotionen bedient. Innerhalb eines abgesteckten Rahmens scheint in der Komödie viel Flexibilität möglich, was die menschliche Verfassung angeht. Im wirklichen Leben hat man ja oftmals eher das Gefühl, dass Menschen oder Beziehungen sich kaum noch verändern können. Die Dynamiken sind eingespielt und festgefahren. Aber hier hat man diese Idee eines munteren, flexiblen Liebeslebens, das diese ganzen Höhen und Tiefen beinhaltet. Und die Tiefen können auch gerne sehr tief sein. Aber trotzdem kann sich alles nochmal zum Besseren wenden. Der Hauptunterschied zur Tragödie ist also eine gewisse Offenheit in alle Richtungen.

J: In der Tragödie sind die Figuren viel mehr in ihrem Charakter oder in ihrer Rolle gefangen. In der Komödie ist da viel mehr Spielraum. Die Figuren sind zum Beispiel nicht durch ihre Eifersucht definiert. Sie haben diese Eigenschaft zwar, aber diese bestimmt sie nicht absolut, wie es in der Tragödie wäre.

A: Bei Tragödien ist es oftmals so: Man beobachtet die Leute, wie sie diese ganzen Entwicklungen durchlaufen, und dann endet das meistens in einem Blutbad oder in ganz viel Schmerz. Das scheint aber auch sehr stark an ihre besondere Rolle gebunden zu sein. Das sind Könige, Adelige, Politiker, gefesselt an den Platz, der ihnen im Leben zugeteilt wurde. Dieser Platz scheint sogar hauptsächlich für ihre furchtbare Lage verantwortlich zu sein. In diesem Film ist das alles durchlässiger und die Menschen sind nahbarer.

J: Das hast du ja in der Komödie auch immer schon gehabt, dass die Standesgrenzen fließender sind. Dass hier diese Beziehung zwischen Fredrik und Desiree eine echte Möglichkeit wäre, das hättest du in der Tragödie nicht.

A: Wobei das aber auch wieder ein spannender Fall ist, weil Desiree ja selbst auch eigentlich höher gestellt ist. Der ganze Film spielt ja auf dem Landhaus von ihrer Mutter.

J: In der Zeit aber, wo der Film spielt – vermutlich so Anfang des 20. Jahrhunderts –, wäre sie trotz ihres Reichtums ein gesellschaftlicher Outcast gewesen in der Art, wie sie lebt, als alleinerziehende Mutter mit wechselnden „Männerbekanntschaften“.

A: Aber die Familie ist reich. Deswegen ist das, glaube ich, für den Fredrik auch nicht völlig ausgeschlossen, dass sie zusammenkommen. Und das zieht ihn ja anscheinend auch zu ihr. Aber ja, ich würde auch sagen, dass sie schon eher am Rande dieser feinen Gesellschaft steht, oder zumindest irgendwie so als ein durchlässiger Charakter die ganze Zeit rein und raus schlüpfen kann.

J: Aber die Familie ist auch interessant, da die Mutter voll hinter ihrer Tochter steht. In einer Tragödie wäre so eine Outcast-Rolle viel absoluter, man wäre von der ganzen Familie verstoßen. Die Mutter ist halt auch selber relativ frei von gesellschaftlichen Zwängen und nicht so verstrickt wie es bei dem Grafen Malcolm noch wirkt. Er ist eher so ein Charakter, der stark von gesellschaftlichen Zwängen bestimmt ist, aber auch nicht absolut. Er macht dieses Duell ja nicht wirklich, er spielt am Ende nur damit.

A: Aber schon so, dass einem ein bisschen die Schweißperlen auf der Stirn stehen. Mir war das bis zuletzt nicht so ganz klar, dass er das tatsächlich als eine Show inszeniert.

J: Ja, das stimmt. Es ist auch ein bisschen ein Gelächter der Erleichterung, wenn man merkt, dass es nur ein Spiel war.

A: Genau, oder auch in dieser Szene, wo Henrik sich umbringen möchte. Der Film ist so sparsam mit solchen Momenten oder mit solchen Situationen, dass man jetzt nicht das Gefühl hat: „Oh, jetzt kommt wieder so eine Szene, die sich nachher in etwas Humoristisches auflösen wird.“ Der Film verteilt das sehr zaghaft, sodass man nie ganz sicher sein kann, wie sich die Dinge entwickeln.

J: Und für die Hauptfigur, die Anne, bin ich mir nicht mal sicher, ob das Ganze überhaupt positiv endet. Der ergreifendste Moment mit ihr ist ja eigentlich die Szene, die auch ein bisschen zwischen lustig und bitter schwankt, wo sie durch ihr Haus läuft und nirgendwo einen Platz hat. Sie sucht eine Aufgabe, die sie als Hausherrin erfüllen kann, doch es gibt gar nichts für sie, weil alles die Bediensteten oder ihr Mann machen. Selbst das Blumengießen, was dann so ihre „heilige Aufgabe“ ist, hat schon die Haushälterin gemacht. Fredrik spricht ja immer davon, dass sie noch keine richtige Ehefrau sein kann, da sie erst reifer werden muss. Er hat sie ja sehr jung geheiratet. Aber natürlich ist es nicht wirklich möglich, reifer zu werden, wenn man keinen Platz im Leben und keine Verantwortung für irgendetwas hat. Am Ende ist es nicht klar, ob sich das für sie dadurch ändert, dass sie eine Beziehung mit Henrik eingeht, denn letzten Endes ist sie halt immer noch in der Situation, eine Hausherrin in diesem reichen Stand zu sein, wo es für eine Frau in dieser Zeit trotz einer oft guten Bildung kaum Handlungsperspektiven gab.

A: Ja, das habe ich auch so gesehen, dass Anne im Grunde dieser viktorianischen Idee des ‘Engels des Hauses’ entspricht. Aber da die Charaktere teilweise schon beginnen, eine moderne Sensibilität zu entwickeln, hat man das Gefühl, dass dieses Konzept in dieser Geschichte eigentlich schon überholt ist. Sie ist kein Engel des Hauses, sondern mehr so ein Geist des Hauses, da sie ja eigentlich völlig über ist. Ich finde das sehr schön in dieser Szene am Anfang, wo er die Fotos abholt. Man hat das Gefühl, dass die Frau da einfach so reingesetzt wurde, aber man kann sie gar nicht verorten auf diesen Fotos. Man kann weder die Beziehung zwischen den beiden damit erfassen, noch ihre Rolle in seinem Leben. Und das trägt sich fort in der Handlung.

J: ‘Geist des Hauses’ ist ein total gutes Bild. Fredrik hat sie ja scheinbar auch aus Trauer um seine erste Frau geheiratet. Das verbindet sie bereits mit dem Geisterhaften. Sie ist ein Stand-In für seine erste Frau, die vielleicht die Rolle als Hausherrin überzeugender ausfüllen konnte.

A: Oder sie ist tatsächlich ein Stand-In für die Frau, die er möglicherweise schon damals mehr geliebt hat als seine eigene Frau, also für Desiree. Aber eventuell hat er einfach aufgrund des Standesdünkels damals nicht zu ihr gefunden.

J: Wenn man Desiree da reinsetzen würde, hätte sie eine ganz andere Rolle in diesem Haus. Sie würde wahrscheinlich weiter arbeiten gehen. Das wäre dann ein sehr moderner Zwei-Verdiener-Haushalt.

A: Ja, überhaupt sind die anderen Frauenfiguren im Gegensatz zu Anne ziemlich mächtig, und zwar sowohl im Sinne der Zeit wo das alles spielt als auch noch im Sinne der 1950er Jahre, wo der Film gedreht wurde. Da ist zum Beispiel Petra als Bedienstete, die mit ihren Arbeitgebern sehr locker und leicht flirtet, aber immer auf eine Art und Weise, dass sie die Oberhand behält und sich auf nichts wirklich einlässt, und dann eigentlich nur mit dem Kutscher wirklich eine kurzweilige Beziehung eingeht. Aber auch in dieser Kürze und in diesem nicht ganz ernst Gemeinten liegt ja eine gewisse Macht: Die Macht, dass man sich nicht binden muss, wenn man es nicht unbedingt will. Das ist wie so ein Spiel zwischen den beiden. Sie meint: „Heiratest du mich jetzt, heiratest du mich jetzt?“, aber man hat schon die ganze Zeit das Gefühl, das ist nicht wirklich ernst gemeint, oder sie hätte zumindest jederzeit die Möglichkeit, das in diesem Moment nicht ernst zu meinen.

J: Ganz anders ist das hingegen wieder bei Henrik und Anne. Sobald sie ihre Hemmungen überwinden, sind sie beinahe magisch aneinander gebunden und wirken wie fremdgesteuert.

A: Richtig! Sie rasen wie kopflose Reiter in der Kutsche durch die Nacht davon. Wie in einer Geistergeschichte, aber auch wie in einem Märchen. Sie haben zwar für den Moment des Films ihre Sehnsucht gestillt, aber am nächsten Morgen ist man dann doch wieder in einer stinknormalen Beziehung, die sich von ihrem jeweiligen Stand in der Welt kaum lösen wird. Ihre spontane Ermächtigung mag im Sinne ihrer Zeit ziemlich frivol sein, aber sie ist letztlich nicht gefährlich für den Status quo.

J: Das ist gar nicht so untypisch für Komödien, da diese selten wirklich subversiv sind. Sie spielen mit den Grenzen, die die Gesellschaft setzt und üben vielleicht vorsichtige Überschreitungen, aber schließlich, wie du schon sagst, enden sie doch wieder innerhalb dieser Grenzen und stabilisieren die herrschenden Verhältnisse, statt diese wirklich in Frage stellt.

A: Genau wie bei Shakespeare, wo  auch immer die alte Ordnung wieder hergestellt werden muss. Irgendwas ist schief gelaufen, die Verhältnisse stimmen nicht mehr und dann muss irgendwas passieren, vielleicht auch etwas Magisches, damit alles durch eine amüsante Verwicklung wieder an den rechten Platz geschoben wird.

J: Alle Paarkonstellation sind innerhalb des Films ein bisschen durcheinandergewürfelt worden, aber auch nur so, wie sie auch vorher schon besser gepasst hätten. Der Prozess, den Desirees Mutter mit dem Weinritual anstößt, bringt eigentlich die Dinge wieder in Ordnung.

A: Ja, sie setzt diesen ganzen Prozess erst in Gang, dass innerhalb dieses Beziehungsnetzes alles nochmal durchgeschüttelt wird. Das wirkt wie so ein paganes Ritual. Aber auch wie eine Art von Mechanismus. Da der Film zur Jahrhundertwende spielt, ist natürlich überall moderne Technik. Und damit geht dann einher, dass alle Charaktere immer irgendwie auf einen Mechanismus warten, der sie in die richtige Richtung stößt. Und oftmals taucht er auch auf. Am stärksten ist das in dieser Szene, wo Petra im Landhaus ein Zimmer putzt. Sie stößt dabei versehentlich eine Taste an und daraufhin fährt ein Bett aus der Wand und ein Engel bläst in eine Tröte. Und das ist genau das, was nachher Henrik und Anne über ihren Schatten springen lässt und die beiden verkuppelt: Er will sich erhängen und dann bricht die Halterung für den Strick ab, er fällt und poltert gegen diese Tastenvorrichtung. Da kommt Anne mit dem Bett aus der Wand gefahren. Das ist wie ein technischer Automatismus, der als eine Art Elektroschock fungiert. Das russische Roulette ist ja im Grunde auch so etwas, weil sich da tatsächlich etwas entlädt. Das ist ja wirklich sehr befreiend: Der stocksteife Graf kommt aus dem Zelt und lacht total herzhaft. Da hat sich in diesem Konflikt zwischen ihm und Fredrik etwas gelöst.

J: Ja, eine gewisse Katharsis der Eifersucht, eine Reinigung dieses Gefühls, die ihn dann auch zu seiner Frau zurückbringt.

A: Ich finde es interessant, dass die Fotografie das anscheinend überhaupt nicht vermag. Ganz am Anfang holt Fredrik diese Fotos von Anne ab. Und ich glaube, er erhofft sich, dass sein Idealbild von der Beziehung mit seiner Frau sich dadurch einlöst. Also auch wieder der Wunsch, dass einem die Technik etwas in Gang bringt oder widerspiegelt. Mit der Fotografie klappt das erstmal nicht, aber mit anderen Techniken schon.

J: Und auch mit Psychotechniken. Das Ganze wird ja durch etwas Psychoanalytisches angestoßen, durch einen Versprecher im Halbschlaf, wo Fredrik „Anne“ statt „Desiree“ sagt. Dieser Versprecher macht ihm seine eigenen Gefühle bewusst und treibt ihn in das Theater zurück. Die Zeit, in der der Film spielt, war ja die große Zeit der Psychoanalyse und dem Versuch, die Seele wie eine Art Mechanik zu beschreiben, die von bestimmten Triebkräften gelenkt und gesteuert wird. Und bei Fredrik gibt dies den ersten Anstoß, der diese ganze Ereigniskette in Gang setzt und er schwimmt da so libidinös getrieben durch.

A: Stimmt, aber so gesehen könnte die Fotografie tatsächlich auch dazu passen, da sie ja allem vorgeschaltet ist. Die Fotos holt er kurz bevor er seinen Traum hat. Dieser wird also vielleicht durch die Diskrepanz zwischen den gestellten Idealbildern und seiner Lebensrealität erst ausgelöst.

J: Die Fotos von Anne sind idealisierte Kunstwerke, und das ist auch interessant, weil ja Desiree die Figur ist, die ihren Körper beruflich zu einem Kunstwerk macht. Vielleicht ist der Versuch, Anne in ein Kunstwerk zu verwandeln, auch unbewusst der Versuch, sie in Desiree zu verwandeln.

A: Ja, das macht sehr viel Sinn. Das hat dann auch etwas total Obsessives und Aussichtsloses. Das komplette Gegenteil zu Petra und Frid, wo es ja gerade darum geht, dass alles sein kann und nichts muss. Bezeichnenderweise fahren sie noch Kutsche und winden sich im Heu, haben das neue Jahrhundert mit ihren psychotechnischen Mechanismen also verpasst. Sie stehen an der Peripherie der ganzen Sache und in keinem Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Diese Selbstverständlichkeit, dass man zusammenkommt, nur wenn man irgendwie in so einer Art geografischem Verhältnis zueinander steht, was Beziehungen, Stand, Klasse, Möglichkeiten, Zufall angeht, das ist für sie kein Grund, dass man zusammenpasst oder zusammenbleiben sollte.

J: Das entzaubert der Film sehr schön, diese Idee, dass Menschen zusammen funktionieren müssen oder funktionieren können, weil sie durch das Schicksal im Grunde aufeinander geworfen sind. Und das ist ja auch ein bisschen das, wo sich alle in diesem Film auch über ihre eigene Situation lustig machen.

A: Und das ist dann schon etwas, was doch so ein bisschen subversiv ist. Denn eigentlich schimmern diese Zweifel im wirklichen Leben stärker bei Leuten durch, die nicht so hochgestellt sind. Man fragt sich immer wieder, wie es eigentlich wäre, wenn man am anderen Ende der Welt unter anderen Umständen geboren wäre. Und man wird auf diese Rätsel zurückgeworfen: “Wer bin ich eigentlich? Inwiefern reagiere ich nur auf die Dinge? Oder ergebe ich mich irgendwie auch einer fatalistischen Tendenz, dass mein Leben jetzt so verläuft, wie es verläuft, einfach nur auf der Grundlage, wie ich im Leben gelandet bin oder mit welchen Menschen ich zusammengeworfen wurde?” In solchen Ständesgesellschaften wird das hingegen in der Regel überhaupt nicht hinterfragt. Und das fand ich an dem Film echt schön, weil es nahbar ist. Ich hatte selten das Gefühl: „Oh, was diese reichen Schnösel da durchmachen, das interessiert mich eigentlich gar nicht“, eben weil das etwas ist, wo man sich aller Unterschiede zum Trotz wiederfindet. Also eigentlich ein sehr humanistischer Ansatz.

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