Nimm 2: The Bigamist (Ida Lupino, USA 1953)


Darum geht’s: Das Ehepaar Harry (Edmond O’Brien) und Eve (Joan Fontaine) sind ungewollt kinderlos. Ihre Energien stecken sie in die gemeinsame Firma, bis sie sich entschließen, eine Adoptionsagentur aufzusuchen. Der Vermittler (Edmund Gwenn) ist peinlich genau in seinen Nachforschungen und findet heraus, dass Harry bereits einen Sohn und eine zweite Ehefrau (Ida Lupino) am anderen Ende des Landes hat. Die Enthüllung führt zu einer aufwühlenden Gerichtsverhandlung.


Achtung: Schwere Spoiler!


J: Was sich mir von dem Film am meisten eingeprägt hat, sind zwei Bilder. Das erste ist die Frontalansicht auf das Haus mit dieser abschüssigen Straße. Weißt du, welches Bild ich meine? Eigentlich ist es ein ganz alltägliches Bild. Ein Haus am Berg mit einer schrägen Straße. Leute laufen vorbei. Das ist ein gutes Bild für die schiefe Ebene, auf die Harry dann ja auch im Laufe des Films gerät.

A: Wo ist das denn? In San Francisco wohnt er ja mit seiner ‘ersten’ Frau Eve in einem Hochhauskomplex.

J: Das Haus am Berg gehört, glaube ich, der Adoptionsagentur. Da sind Harry und Eve ja am Anfang zum Erstgespräch für die geplante Adoption. Das zweite sehr einprägsame Bild war für mich dieses Flugzeug, das immer wieder beim Abheben gezeigt wird. Da schwingt so die Thematik mit, wie neue Verkehrsmittel einen ganz anderen Lebensstil ermöglichen.

A: Ja, dadurch wird es überhaupt erst möglich, dass man verheiratet ist und ein gemeinsames Leben führt, aber zumindest einer von beiden die Hälfte der Zeit ganz woanders arbeitet und lebt. Interessant finde ich auch die Frage, was eigentlich dieser andere Raum genau ist. Denn das ist ja so ein bisschen auch das, was ihn da reingleiten lässt, dass er die Hälfte seines Lebens an einem Ort verbringt, der so ein liminaler Zwischenort ist – keine Heimat, irgendwie ein Arbeitsplatz, aber er muss ja auch irgendwo zum Schlafen hingehen.

J: Genau, das zeigt sich auch gut gegen Ende, wo er mit Eve in Los Angeles ist, und da fragt der Restaurantbesitzer: „Fahren Sie nach Hause?“ Und seine Frau fragt ganz schockiert: „Nach Hause? Wieso nach Hause?“ Sie ist also nie davon ausgegangen, dass der Ort, wo er die Hälfte seiner Zeit verbringt, für ihn eine Art Zuhause sein könnte.

A: Obwohl das eigentlich logisch wäre. Es ist ja auch schon komisch, dass er in Los Angeles vor seiner Beziehung mit Phyllis nicht mal ein kleines Apartment oder wenigstens ein Zimmer hat, sondern jedes Mal in irgendein komisches Hotel absteigt. Dabei ist er nicht gerade arm.

J: Daher rührt dann auch ein wenig diese Isolation und Einsamkeit, dass er so viel Zeit alleine an diesem Ort verbracht hat, aber zugleich dachte, diesen Ort nicht zu seinem Zuhause machen zu können. Das ist erst möglich, als er in Los Angeles eine neue Beziehung, eine zweite Ehe eingeht. Das hat wahrscheinlich auch sehr stark damit zu tun, wie die Gesellschaft damals organisiert war.

A: Diese Idee, dass man verschiedene Wohnsitze hat und dann pendelt, wie das heute ja eigentlich normal ist bei vielen Berufen, das war damals vielleicht noch gar nicht so vorgesehen. Harry und Eve sind so betrachtet fast schon Pioniere eines neuen Lebensstils. Er hat ja auch zusammen mit seiner Frau die Firma gegründet, das ist wahrscheinlich wirklich eine recht neue Form des Lebens und Arbeitens. Die beiden sind sowieso ein sehr modernes Paar.  Eve ist ja auch Geschäftsführerin. Und der Film ist nur ein paar Jahre nach der Should Women Work-Folge von Father Knows Best herausgekommen.

J: Die Firmengründung wird natürlich ein bisschen daraus geboren, dass sie kein Kind bekommen können. Aber ich finde es schon sehr interessant, wie feinstufig der Film das macht. Harry wird zwar für seine Handlungen nicht entschuldigt, aber der Film macht schon viel dafür, dass man nachvollziehen kann, wie er in diese Lage reingeschlittert ist.

A: Ja, das kann man schon nachvollziehen. Da ist dieses spezifische Drangsal in seinem Leben, dass er die Hälfte der Zeit woanders ist, wo er eigentlich nur arbeitet und gar kein Leben hat. Und diese Situation spiegelt sich dann auch in seinem häuslichen Leben wieder, da seine Beziehung zu Eve zu einer Art Business-Beziehung geworden ist und sich auch Zuhause alles um die Arbeit dreht. Das macht es ziemlich verständlich, dass er irgendwie was Anderes sucht in Los Angeles.

J: Aber der Film dreht das nicht in so eine sehr konservative Richtung, wie man es vielleicht erwarten würde. Das Bild ist nicht: In Los Angeles entsteht diese ganz glückliche Familie mit der klassischen Rollenverteilung und in San Francisco ist diese unglückliche Ehe mit der Business-Frau. Beide Beziehungen haben für ihn einen Wert, und in seiner ersten Ehe geht es ja auch von beiden aus, dass sie sich in die Arbeit stürzen, weil sich der Kinderwunsch nicht erfüllt. Und am Ende kommt es ja auch fast zu einer Art Lösung, als sie sich entscheiden, ein Kind zu adoptieren und weniger zu arbeiten. Das fällt einfach so tragisch zusammen, dass er genau in dem Moment erfährt, dass Phyllis nach einen One-Night-Stand von ihm schwanger ist, wo sich seine Beziehung mit Eve wieder fängt, die beiden sich wieder näherkommen.

A: Ja, das kommt alles sehr ungünstig zusammen. Eve wird ja auch als sehr sympathisch dargestellt. Eigentlich wird keine Figur in diesem Film so gezeichnet, dass sie absichtlich, aus Bosheit heraus, falsche Entscheidungen trifft. Alle handeln irgendwie verständlich.

J: Selbst der Richter am Ende ist ja sehr verständnisvoll.

A: Im Grunde ist das eine tragische Fügung und irgendwie auch ironisch, dass Harry ins Gefängnis kommt, weil er im Grunde etwas Falsches gemacht hat, indem er zweimal das Richtige gemacht hat. Da wird dann auch diese Heuchelei so nach außen gekehrt, dass natürlich ganz viele von den Männern, die diese Art von Leben führen, irgendwelche Beziehungen nebenbei haben, und wenn das auffliegt, dann gibt es vielleicht einen kurzen Skandal. Aber meistens wird das relativ schnell wieder unter den Teppich gekehrt. Und in diesem Fall, wo Harry sich sofort verpflichtet fühlte, diese Beziehung zu Phyllis so auszubauen, wie es der Anforderungskatalog der Gesellschaft vorsieht, wird er so stark kriminalisiert, dass er sogar ins Gefängnis kommt.

J: Dass das Ideal der Ehe so zentral für diese Gesellschaft ist, ist hier zugleich Fluch und Segen. In einer ähnlichen Konstellation hätte man heute ganz andere Möglichkeiten, eine Lösung zu finden. Aber damals hätte Phyllis mit einem unehelichem Kind viele Schwierigkeiten gehabt. Er sagt ja auch vor Gericht, er wollte durch die Eheschließung das Kind absichern. Da steht ja noch mehr hinter als die Idee: “Ich heirate jetzt, weil  es halt passiert ist und ich es als moralisch richtig erachte.” Irgendwo versucht er auch auf eine eigentlich recht pragmatische Weise, eine verfahrene Situation aufzulösen. So wie  am Ende, wo er denkt: „Okay, ich muss Eve verlassen. Ich warte aber, bis mit der Adoption alles durch ist.“ Es wäre ja auch ausgeschlossen gewesen, dass eine alleinstehende Frau adoptiert.

A: Also ein bisschen hatte ich auch das Gefühl, dass Harry einfach so ein Mann ist, der im Grunde schon einen relativ hohen Stand in der Gesellschaft hat, und in dem, was er macht, also als Geschäftsmann, erfolgreich ist, und der eigentlich mit diesen ganzen Machtzentren, die er in sich vereinigt, nicht wirklich umgehen kann und da auch überfordert ist.

J: Ja, so gerät er dann auch in die Bigamie herein. Diese zweite Ehe wird sehr schnell geschlossen. Sein Drang ist stark, „das Richtige“ zu tun und es bleibt vermutlich auch nicht mehr viel Zeit, bis zur Geburt des Kindes. Ein bisschen scheint das also schon aus Ratlosigkeit zu geschehen.

A: Man hat hier einen Protagonisten, der wahnsinnig schwach und verletzlich ist. Da ist kein Alphamann im klassischen Sinne, der dann die ganz harte Entscheidung trifft. Er versucht ein paar Mal, diese Rolle einzunehmen, aber das klappt nie.

J: Einmal gibt es ja die Szene, wo Phyllis sauer ist, weil sie gesehen hat, wie er mit Eve spazieren gegangen ist. Und er denkt: „Jetzt nutze ich die Gelegenheit, um rauszukommen.“ Und das versucht er dann. Aber in dem Moment, wo sie sagt: „Ich liebe dich so sehr, können wir nicht doch zusammenbleiben?“, sagt er sofort wieder „Ja“. Er ist überhaupt nicht willensstark oder charakterstark in dieser Hinsicht.

A: Er ist sehr von anderen Menschen abhängig in seinem Handeln. Die Frauen haben auf jeden Fall die stärkeren Rollen. Die Firma wird ja auch mehr von Eve betreut und geplant. Sie schickt ihn zu den verschiedenen Terminen. Sie scheint den Überblick zu haben. Wobei seine fehlende Orientierung aber vielleicht auch daher rührt, dass er immer zwischen den Orten hin- und hergerissen ist. Er ist nie richtig irgendwo präsent.

J: Ja, das stimmt.

A: Oft hat man ja diesen klassischen Hollywood-Plot, wo man dem Protagonisten folgt und davon ausgeht, dass der im Grunde unfehlbar ist und irgendwie den Tag rettet. Diese Protagonisten kriegen dann alles gedeichselt. Das ist jetzt hier eine wesentlich realistischere Darstellung. Da sehe ich dann auch einen feministischen Kern, zumindest wenn man Feminismus so begreift, dass man davon ausgeht, dass auch Männer ihre eigenen Rolle ausgeliefert sind.

J: Das ist was, was heute manchmal aus dem Fokus gerät. Aber ich finde, das gehört klassischerweise dazu, dass man sich auch solche Geschichten und solche Charaktere ansieht , also Männer, die an den Anforderungen ihrer Rollen zerbrechen.

A: Gerade in der Zeit dieses Films, wo es langsam auf die Zeit nach diesem extremen Wirtschaftswunder zugeht und Erfolg so wichtig ist. Und das soll man dann alles unter einen Hut kriegen. Die beiden Frauen wirken da viel unerschrockener in ihren Rollen.

J: Die Eve kommt ja recht gut klar mit dieser Rolle als Geschäftsfrau, obwohl es in dieser Zeit noch nicht so viele Vorbilder gab und diese Rolle von der Gesellschaft kaum unterstützt wurde. Und Phyllis ist auch zunächst bereit, ihr Kind allein aufzuziehen, vielleicht auch, weil sie schon eine enttäuschende Beziehung hinter sich hat. Sie hat ja die weibliche Version von so einem Dear-John-Brief bekommen. Ihr Verlobter hat sich in Deutschland eine neue Partnerin gesucht. Deshalb ist es ihr sehr wichtig, für sich selbst sorgen zu können. Zwar nimmt sie das Angebot der Ehe an, aber der Gedanke, dass eine Ehe unbedingt sein muss, das geht eher von Harry aus.

A: Ja, total, die Frauen sind ja auch von einer Zeit geprägt, wo sie halt anders sein mussten, also vom Zweiten Weltkrieg, wo es dann plötzlich wichtig war, dass man anfängt, außerhäusliche Aufgaben zu übernehmen.

J: Eve und Phyllis gehören ja auch zur ersten Generation, die  wirklich stark vom Feminismus profitiert hat. Sie sind quasi die Töchter der Suffragetten.

A: Dennoch hat man dieses Klischee von den 1950ern als total rigide, als eine Zeit, wo diese Themen keine Rolle spielten und alle Frauen quasi Heimchen am Herd waren. Dieses Bild wurde durch die Kulturproduktion jedoch nicht so bestätigt, dass man sagen kann, das ist quasi alles, was es gab. The Bigamist wurde damals zumindest von der Kritik richtig gut aufgenommen.

J: Die eher liberalen Zwanziger wirkten ja wahrscheinlich auch einfach nach in den Menschen, die in den 20ern jung waren.

A: Das Ganze hat auch noch eine andere Komponente: Die Regisseurin und Hauptdarstellerin Ida Lupino und John Fontaine, die waren beide mit dem Drehbuchautor des Films zusammen. Also nicht gleichzeitig, sondern nacheinander. Daraus scheint dieses ganze Projekt irgendwie entstanden zu sein.

J: Krass, ja. Und wenn die beiden sich am Ende im Gerichtssaal ansehen, dann ist das ja schon etwas, was sehr an die Realität anschließt. Das Verhältnis von Eve und Phyllis ist auch ganz interessant, da sie keinen Konkurrenzkampf anfangen und sich nicht gegenseitig zu grollen scheinen. Wenn sie sich im Gericht anschauen, spricht aus den Blicken eher Mitgefühl.

A: Obwohl das ja eigentlich ein sehr billiges Drama wäre für so einen Film gewesen wäre, nicht? Also, dass die beiden das rausfinden, und dann gibt’ es eine Szene, die eine sucht die andere, oder so etwas. Das spart der Film total aus, daran ist er gar nicht interessiert. Die lernen das erst ganz am Ende und haben nur so einen Austausch von Blicken.

J: Beide sehen eben wohlwollend und mitfühlend auf die Situation der anderen. Das ist halt kein typisches Eifersuchtsdrama, das bedient überhaupt nicht diese misogynen Klischees von der hysterischen, eifersüchtigen Ehefrau.

A: Ja, und Harry entschuldigt sich eben auch gar nicht, Er sagt einfach nur: „Ich bin schuldig“. Das wird gar nicht weiter zerredet. Es wird kein männliches Recht eingefordert. Auch kein Recht, Regeln zu brechen.

J: Im Gerichtssaal sind am Ende alle sehr auf einer Ebene, vor dem Gesetz quasi. Es wird eine friedliche Verhandlung gezeigt, in der sich alle irgendwie einig sind und in der ein gesellschaftlicher Konsens dargestellt wird, den man heute überhaupt nicht mehr hätte.

A: Da haben wir die Vorstellung, das alle eigentlich den Grundwert der Ehe teilen, aber alle auch die Begrenzungen und die Herausforderungen sehen, die das mit sich bringt. Alle sehen, dass Harry schuldig ist, aber niemand verurteilt ihn wirklich hart.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert